Blick hinter die Kulissen | Sonderausstellung „Beziehungskisten“ – Herausforderung Kuh

23.04.2020 Lisa Carina Immel

Foto: LWL/Heimann

Das größte Modell der Sonderausstellung „Beziehungskisten“ stellte sich zugleich auch als besondere Herausforderung heraus und wurde zu einem Lieblingsobjekt der Museumsbesucherinnen und Besucher.

Großdermoplastik

Einem toten Tier optisch wieder Leben einzuhauchen und es in ein lebensechtes Präparat, eine sogenannte „Dermoplastik“, umzuwandeln, ist eine Kunst, auf die sich nur wenige Menschen verstehen. Präparatorin Narumi Sato wird die Kuh, die in der Sonderausstellung „Beziehungskisten – Formen des Zusammenlebens in der Natur“ zu sehen ist, wohl ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Für die junge, zoologische Präparatorin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ist es die erste Großdermoplastik, die sie selbst angefertigt hat. Ein so großes Tier lebensecht, mit kurzem Fell und in diesem Fall noch liegend darzustellen, ist für jeden Präparator eine große Herausforderung.

In der Ausstellung wird mit der Dermoplastik gezeigt, wie Kühe und Bakterien in einer Gemeinschaft leben. „Die Symbiose mit den Bakterien hilft der Kuh bei der Verdauung“, sagt Ausstellungsmacherin Dr. Michaela Klösener. „Nur durch diese Bakterien und ihren besonderen Verdauungstrakt können sich die Wiederkäuer von Gras ernähren“.

Foto: LWL/Heimann

Vergrößerte Modelle zeigen Anpassungen an Menschen

Von den ersten Handgriffen Anfang März dieses Jahres bis zur fertigen Tier-Dermoplastik sind gut sechs Monate vergangen. Um eine Dermoplastik herzustellen, brauchen Präparatoren das Fell des Tieres und für das Innere einen Modellkörper. Außerdem werden anatomische Kenntnisse benötigt, welche durch Fotomaterial und Beobachtung lebender Tiere ergänzt werden. Zunächst hatte Narumi Sato jedoch erstmal die genauen Maße der Kuh ermittelt, wie die Länge der Beine oder die Breite der Schulter. Von diesen Maßen hat die Präparatorin die Knochengröße geschätzt, um ein Modell im Maßstab 1:4 anzufertigen.

Anatomisch und ästhetisch schwierig zu erstellen

Dafür hat sie aus PU-Schaum verkleinerte Knochen geschnitzt und diese immer wieder mit einem vorhandenen Kuhskelett aus dem Museumsarchiv verglichen. So konnte sie mit Industrieplastilin auf bzw. über die Knochen ein detailgetreues Abbild mit den Darstellungen der Muskeln, Sehnen und Hautfalten formen. „Ein liegendes Tier ist anatomisch und ästhetisch sehr schwierig zu modellieren, sodass es später auch natürlich und lebendig aussieht“, sagt Narumi Sato. Damit ihr diese Herausforderung möglichst gelingt, ist die gebürtige Japanerin mit dem Modell zu ihrem erfahrenen Kollegen Dieter Schön zum „Museum Mensch und Natur“ nach München gereist. Er konnte ihr viele Tipps geben, worauf zu achten ist und was noch korrigiert werden muss. „Ich habe zuerst etwas zu steif nach Maßen modelliert und nun gelernt, mehr auf mein Gefühl und die Körperlinie des Tieres zu achten“, erklärt Sato. Nach drei Tagen ging es für die Feinarbeit zurück nach Münster. Das fertige Modell wurde Anfang Juni gescannt und mit einer CNC-Fräse in Originalgröße angefertigt. Später sollte darüber dann das Fell gezogen werden.

Foto: LWL/Heimann

Schwerstarbeit

Den Kopf der Kuh, mit all seinen Feinheiten, hat die Präparatorin allerdings komplett in Originalgröße selbst modelliert. Das Fell, das aufgrund seiner Größe in eine Gerberei gegeben wurde, konnte erst Ende Juli 2019, also erst relativ kurz vor der Ausstellungseröffnung, auf den fertig zusammengesetzten Körper gezogen, zusammengenäht und fixiert werden. Für die Präparatoren des LWL-Museums war dies Schwerstarbeit und nur in Teamarbeit zu schaffen, denn das große, nasse und schwere Fell musste mit einem speziellen Kleber auf dem Modellkörper geklebt werden. Gleichzeitig galt es, die Falten, Rippen und Muskelansätze zu beachten und das Fell möglichst naturgetreu darüber zu platzieren. Durch Feststecken mit dünnen Nadeln und Bandagen wurde die Haut fixiert, damit sie beim Trocknen nicht verrutscht oder spannt. Nach dem Trocknen erhielt die Kuh ihren letzten Schliff, indem Glasaugen eingesetzt und die Nase bearbeitet wurden.

Foto: LWL/Heimann
Foto: LWL/Heimann

Für Narumi Sato war dieses Projekt etwas ganz Besonderes. Die Kuh scheint nun in ihrer Bewegung eingefroren zu sein und ihr Anblick vermittelt in der Sonderausstellung großen und kleinen Besuchern viel Wissenswertes. Auch nach Fertigstellung der Dermoplastik hat die Präparatorin weiterhin noch Spaß daran, auf ihrem Heimweg die anatomischen Besonderheiten von Kühen auf der Wiese zu studieren.

Hintergrund zur Ausstellung

Das Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster zeigt seit dem 25. September 2019 die Sonderausstellung "Beziehungskisten – Formen des Zusammenlebens in der Natur". Auf 560 Quadratmetern lernen Besucherinnen und Besucher das Miteinander, Gegeneinander und Nebeneinander in der Natur kennen. Museumsgäste können die Vielfalt des Zusammenlebens von großen Insektenstaaten, über Parasiten und der Funktion von Vogelschwärmen bis hin zu lebenswichtigen Bakterien im menschlichen Körper entdecken. Die Ausstellung ist für alle Menschen geeignet. Sie beinhaltet: Brailleschrift, einen speziellen, mehrsprachigen Audioguide (D, EN, NL) und Tastmodelle für Menschen mit Sehbehinderung, Mitmachstationen und untertitelte Filme. Begleitend zur Ausstellung werden museumspädagogische Programme für Schülerinnen, Kinder und Jugendliche sowie Führungen für Erwachsene angeboten.

Weitere Informationen zur Sonderausstellung "Beziehungskisten - Formen des Zusammenlebens in der Natur" unter: www.beziehungskisten.lwl.org

Autor: Philipp Heimann