Digital Diary | Paläontologinnen und Paläontologen bei der Arbeit

18.03.2021 Lisa Carina Immel

Aufgepasst: Wir nehmen euch mit zu einer Ausgrabung! In unserem Digitalen Tagebuch zeigen wir euch, wie Paläontologen und Paläontologinnen arbeiten. Denn unsere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben wieder ganz besondere Entdeckungen gemacht. Was dafür alles nötig war und wie die Entdeckungen abgelaufen sind, zeigen wir euch in diesem Artikel - sozusagen unter dem Motto „Palaeontology for Beginners“. 

Grabungsutensilien auf dem Boden. Foto: LWL/Steinweg

Tag 1: Auf Schatzsuche in der Erde aka Die Nadel im Heuhaufen

Sonnencreme und Filzhut eingepackt? Dann geht es los zur Grabungsstelle. Hier bei einem Steinbruch in Balve wird seit 2002 gegraben, gesucht und gefunden. Kaum angekommen sieht man… gar nichts. Warum das? Nun ja, ehrlich gesagt sieht für den Laien alles gleich aus: überall Dreck, kleine Steine, große Steine, noch größere Steine, ganze Steinbrocken und ein paar Pflanzen. Nach einer Weile haben wir uns „eingeguckt“ in das Gelände, vielleicht finden wir ja schon etwas mit bloßem Auge? Der Profi geht natürlich etwas anders vor. Er hat Erfahrung, weiß, worauf er achten muss, wie Versteinerungen aussehen, welche Oberflächen und Muster die verschiedenen Fossilien haben, wie Knochen aussehen usw. Trotzdem ist das Finden von Fossilien die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, denn nicht alles ist versteinert und nicht überall wo gegraben wird, tauchen Fossilien auf. 

Person beim Schlämmen. Foto: LWL/Steinweg

Tag 2: Das große Schlämmen

Was, wenn man bei der Suche im Gestein scheinbar nur lehmiges Material findet, in dem klebrigen Zeug aber kaum Fossilien erkennen kann? Nun ja, da gibt es noch Trick 17, das Schlämmen. Bei dieser Methode werden millimetergroße Fossilien auffindbar gemacht, indem die Gesteinsproben, in denen die Versteinerungen vermutet werden, über Siebe mit viel Wasser geschlämmt werden. Eine richtige nasse Angelegenheit ist das und daher prädestiniert für die heißen Sommermonate. Es sieht ein wenig so aus, als wäre man auf der Suche nach Gold: fließendes Wasser, große Siebe und viel Geduld sind erforderlich. Im Anschluss an das Schlämmen werden alle, wirklich alle Objekte, die größer als 0,5 mm sind, in zeitintensiver Arbeit ausgelesen und ganz genau angeguckt. 

Person schaut in ein Mikroskop. Foto: LWL/Steinweg

Tag 3: Die Welt durchs Mikroskop entdecken

Unter einem Mikroskop untersuchen wir unser Extrakt vom Schlämmen, also auch die kleinsten Partikel, die ursprünglich aus der Grabungsstelle stammen. Und siehe da, unser Bufdi (Bundesfreiwilligendienstleistender) hat etwas gefunden. Es sind winzige Funde: stolze 1,2 cm ist das eine, das andere Fundstück sogar nur 2 mm groß. Woher wir wussten das wir überhaupt etwas gefunden haben? Naja, Sandkörner und Zähne unterscheiden sich beim genauen Hinsehen in der Form dann doch mehr als gedacht. Ja genau, wir haben Zähne gefunden, 2 mm große Zähne. Und wahrscheinlich ein Stück eines Unterkiefers. Mit diesen Maßen gehören sie schon mal nicht zu T. rex, aber wem gehörten sie dann? Und wann hat ihr Besitzer sie zum letzten Mal benutzt?

Tag 4: Scan mich, ich bin ein Fossil

Auf der Ausgrabung in Balve sind wir fündig geworden, doch unsere Fossilien sind nur Millimeter groß. Jetzt wird es knifflig, wie kann man so kleine Fossilien untersuchen? Da hilft uns die moderne Technik. Ein Mikro-Computertomograph (µCT) durchleuchtet mit Hilfe von Röntgenstrahlung unsere Fundstücke, während diese um 360° rotieren. Dadurch entsteht ein 3D-Scan unserer Fossilien. Jetzt haben wir einen besseren Blick und bekommen anhand der Zahnstrukturen auch schon eine Idee, wer ihr Besitzer gewesen sein könnte: Multituberculaten. Aahhh, werden jetzt vielleicht einige erkennend sagen. Andere fragen sich eher, was Tuberkulose bitte mit Fossilien zu tun hat. Multituberculata, wir nennen sie umgangssprachlich liebevoll auch „Multis“, waren eine Säugetiergruppe, die sich ungefähr zeitgleich mit den Dinos entwickelte und erst vor ca. 30 Millionen Jahren ausstarb. Die Zähnchen, die wir gefunden haben, wurden zum letzten Mal vor 125 Millionen Jahren benutzt - so alt sind unsere Fossilien also.

Tag 5: There is a new Säugetier in town

Nachdem wir einen 3D-Scan der gefundenen Zähne und des Unterkiefers angefertigt haben, geht uns eine Frage nicht mehr aus dem Kopf. Ist es möglich? Nein. Oder vielleicht doch? Wir haben Bücher gewälzt, mit Kollegen und Kolleginnen gesprochen und unsere Funde analysiert, bis wir mehr Zähne gesehen haben als jeder Zahnarzt. Wir haben gleich zwei neue Säugetiere entdeckt! Beziehungsweise zwei bisher unbekannte Gattungen und Arten von Multituberculata. Denn es gibt bisher keine bekannten Gattungen, deren Zahnstruktur unseren Funden ähneln. Von Multis findet man tatsächlich am häufigsten einzelne Zähne. Ganze Skelette sind extrem selten und aus Europa nicht bekannt. Warum Zähne? Das liegt daran, dass sie sehr hart und widerstandsfähig sind – noch mehr als Knochen. Außerdem kann man die Zähne sehr gut erkennen und da sie so komplex aufgebaut sind, kann man mit ihnen auch unterschiedliche Multi-Arten auseinanderhalten. Unsere Funde sind der erste Beleg von Multituberculata in Deutschland aus der Zeit der Kreide und der erste Nachweis von Säugetieren aus dem Erdmittelalter in Nordrhein-Westfalen überhaupt. Balve ist in ganz Europa neben Großbritannien der einzige Ort, an dem ein Stück eines Kieferfragments von Multituberculata aus der frühen Kreide gefunden wurde. Unser Fund ist also wirklich etwas ganz Besonderes.

Tag 6: Kevin, Chantale oder doch Gerhard?

Was bisher geschah: Wir haben wortwörtlich im Dreck gewühlt, winzige Fossilien der Säugetiergruppe Multituberculata gefunden, mikroskopische Untersuchungen gemacht und mit einem 3D-Scan unsere Fossilien analysiert. Als Belohnung haben wir nun die Ehre die zwei neuen Gattungen und Arten zu benennen, die wir gefunden haben. Denn, eine Regel in der Wissenschaft besagt, jeder der eine neue Gattung oder Art entdeckt, darf sie auch benennen. 

Die Namen unserer Neuentdeckungen, wir haben sie Bructerodon alatus und Cheruscodon balvensis getauft, beziehen sich jeweils auf zwei germanische Stämme aus der Antike. Die Brukterer und Cherusker haben in der Varusschlacht drei römische Legionen besiegt. Öffentlich bekannt geben dürfen wir die Namen aber erst, nachdem wir unsere wissenschaftliche Abhandlung über die neuen Säugetiere in einem Journal veröffentlicht haben. 

Werden die Namen der neuentdeckten Arten vor der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Arbeit bekannt gegeben, werden sie ungültig. Auch so eine Regel in der Wissenschaft. Also nichts verraten, die Namen bleiben erstmal ganz unter uns… Wer sehen will, wie so eine Abhandlung aussieht, findet unseren Artikel über Bructerodon alatus und Cheruscodon balvensis hier: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0195667120303864

Die Fossilien unserer zwei neuentdeckten Säugetiere werden in der Sammlung des LWL im Zentralmagazin sicher verwahrt, hier sind sie in guter Gesellschaft.

Tipp: Wen wir mit dieser Reihe auf den Geschmack gebracht haben - in unserer Paläontologie-Abteilung kann man auch ein Praktikum oder Bundesfreiwilligendienst absolvieren. Bewerben kann man sich hier: https://www.lwl-naturkundemuseum-muenster.de/de/mitarbeiter/stellenangebote/

Kategorie: Wissenschaft

Schlagworte: Forschung · Paläontologie